Erotik!
Lust auf Literatur: Erotische Lesung in Neustadt
Geistreich-heitere Zeitreise durch Jahrtausende zwischenmenschlichen Knisterns - 23.11.2013 16:08 Uhr
NEUSTADT - Angefangen hatte alles mit der Versuchung im Paradies. Seitdem begleitet es die Menschheitsgeschichte - das Thema Liebe, Lust und Leidenschaft, zieht es sich als roter Faden aus der Antike in die Gegenwart. Aus diesem Faden wurde ein "literarischtheatralischmuskalisches" Kunstwerk gestrickt, das der Lust auf Literatur Amors Flügel verleihen sollte.
Christian Finzel und Stella Cramer danken Aline Joers, Franz Tröger und Patrick L. Schmitz für einen geistreich-heiteren Abend. © Harald Munzinger
Dass “Erotik in der Literatur” in sei, zeigten die Bestsellerlisten. Warum also sollte sie nicht einmal aus Bücherregalen ins Rampenlicht gerückt werden? Stella Cramer und Christian Finzel zündeten mit ihrer Idee für diesen Höhepunkt ihrer Lesereihe in der Neustädter Buchhandlung Dorn einen Funken der Begeisterung. Was sowohl für ein Schauspielerensemble galt, das sich leidenschaftlich der Quellensuche mit dem Stichwort Leidenschaft widmete, als auch für viele Literaturfreunde mit Fundstellentipps und schließlich auch für das Publikumsinteresse.
Das sollte den üblichen Rahmen der Lesungen in der Buchhandlung sprengen und zum Glück einer Alternative zwingen. Diese wurde in dem von Veranstalter und Gästen bewunderten Saal des Gasthauses "Scharfes Eck" gefunden, der sich damit zur Bereicherung des kulturellen Lebens in der Kreisstadt empfahl.
Auf eine geistreich-heitere Zeitreise durch Jahrtausende der (literarischen) Leidenschaft konnte man im Neustädter Gasthause "Scharfes Eck" gehen. Ein Ensemble mit Schauspielern aus Bamberg und Berlin lud zu einem lustigen wie lustvollen Abend.
Und ehrlich: Was sollte sich besser für Erotik in der Literatur eignen, als ein "scharfes Eck"? So spielte der Zufall die letzte Karte in einem Spiel aus, an dem sowohl das Team der Buchhandlung Dorn, wie auch das Schauspielerensemble sowohl bei intensiver Vorbereitung des Programms - inklusive Besuch des Berliner Erotikmuseums - ganz offensichtlich einen Riesenspaß hatte. Und der sollte sich bei der brillanten Premiere auch rasch auf das begeisterte Publikum übertragen.
Zirkus der Leidenschaft
Das prickelnde Thema sollte mit Aline Joers und Patrick L. Schmitz mit hoher Schauspiel- und Gesangskunst sowie dem "Klangvirtuosen der Extraklasse" Franz Tröger in denkbar bester Besetzung zu einem außerordentlich vergnüglichen Ereignis werden. Dabei wurde der Bogen von den Gärten der Lust in der Antike in die Gegenwart gespannt, führte der römische Dichter Ovid (alias Franz Tröger) - als "Spieler zärtlicher Liebesgeschichten" beschrieben - höchstpersönlich durch den großen Zirkus der Leidenschaft.
Da traten Salomon und Lessing, Mörike, William Shakespeare, Goethe, Wedekind, Hugo von Hofmannsthal, Brecht oder Kurt Tucholsky ebenso in die Manege, wie Heinz Erhard, Ludwig Thoma, Erich Fried oder Giacomo Casanova. Und es hätten noch viel mehr sein können, gilt die Liebe doch seit Jahrtausenden als ein zentrales Thema der Lyrik.
Von Amor und Venus oder dem raffinierten Einsiedler Rustico wird erzählt, der die unschuldige Alibech glauben lässt, dass der Akt der Vereinigung eine gottgefällige Bußübung sei, da damit der Teufel in die Hölle zurückgeführt werde. Es werden Ratschläge gegeben, wie (alle) Mädchen zu gewinnen seien, wobei Aline Joers verführerische Blicke und anmutigen Bewegungen eher an das umgekehrte Rollenspiel denken lassen. Liebe, Lust und Leidenschaft werden auch mit ausdruckstarker Stimme besungen und die Sexualaufklärung aus dem Kamasutra akrobatisch so originell in Szene(n) gesetzt, dass die Leibes-Übungen als Satire zur multimedialen Sex- und Pornowelle von schallendem Gelächter begleitet werden.
Wie Erotik in und aus der Literatur geistreich-witzig aufbereitet werden kann, haben Aline Joers, Patrick L. Schmitz und Franz Tröger in ihrem "literarischtheatralischmusikalischen" Streifzug durch Jahrtausende "Liebesgeschichte und -gedichte" so unterhaltsam-heiter vermittelt, dass das Publikum mit Trommelwirbel der Füße sowie Beifallssturm und -rufen die doppelte Premiere feiert.
Neue Kultur-Adresse
Dass das Ensemble der Schauspieler aus Bamberg und Berlin (Thomas Jutzler fehlte in Neustadt) mit diesem Programm auf Erfolgskurs steuert, ist so sicher, wie der endlos weitergesponnene Faden der Erotik in der Weltliteratur.
Und für die "entdeckte" Kleinkunstbühne der Kreisstadt wird das nächste Gastspiel mit einem Heinz-Erhard-Abend - von Double Patrick L. Schmitz im Stil des Wortkünstlers angekündigt - ein weiteres Signal sein: Die Kultur in Neustadt hat eine neue Adresse: Das "Scharfe Eck"! Als deren belebendes Element durften sich Stella Cramer und Christian Finzel über viele Komplimente freuen. Ein Ansporn mit gehobenen Daumen im Publikum für die ideenreich geförderte "Lust auf Literatur": Weiter so!
Harald J. Munzinger