Stein und Flöte
Hans Bemmann (1922-2003) war ein österreichischer Schriftsteller. Mit „Stein und Flöte" gelang ihm 1983 erst in späten Jahren ein literarischer Durchbruch.
"Der Duft drang in ihn ein, süß und herb zugleich, und weckte in ihm eine unbändige Sehnsucht nach Leben, nach Mitteilen und Empfangen, und ihm war zumute, als müsse sein Leib bersten vor ungestillter Lust, dieses Leben, wie immer es sich auch darbieten mochte, zu empfinden und auszukosten. Er hätte alle Welt umarmen können in diesem Augenblick."
Dieses Buch ist schwer zu fassen, doch dieses Zitat aus der Geschichte beschreibt sehr gut das Grundgefühl, dass Bemmann hier aufgebaut hat. Einerseits ist es ein Märchen mit einfachen Mustern und eher flachen Charakteren wie bösen Wölfen und hübschen Prinzessinnen, andererseits ein Fantasy-Roman, der vielfältig mit seinen Grundmotiven spielt und in der zweiten Hälfte, wenn die einzelnen Mythen und Legenden zueinander in Bezug gebracht sind, doch die nötige Tiefe entwickelt, um den Leser in seinen Bann zu ziehen. „Wenn einer in die Irre geht, heißt das noch lange nicht, dass er nicht auf dem richtigen Weg ist." - Um zu dieser Einsicht zu gelangen, muss Lauscher ein alter Mann werden und sich von den magischen Artefakten trennen, in deren Besitz er in jungen Jahren gelangte: Stein und Flöte.
Lauscher ist der Sohn eines Richters und Enkel des „Sanften Flöters", der mithilfe seiner Flöte dem Guten zum Durchbruch verhilft. Als der Enkel diese Flöte erbt, nutzt er sie, um anderen seinen Willen aufzudrängen. Dass dies nicht der der richtige Weg ist, selbst wenn damit gute Absichten verfolgt werden, ist eine der zu lernenden Lektionen. Viele weitere folgen.Zu dieser Erkenntnis verhilft auch der Stein, der genauso aussieht wie die ewig jungen Augen der weisen Urla. Wer ihn ansieht, findet Frieden und kommt dem richtigen Weg ein Stück näher. Und dann sind da auch noch die weiblichen Nachfahren Urlas, deren Augen dieselbe Macht besitzen.
Wölfe, die sich tagsüber in Menschen verwandeln und einer jungen Frau helfen, die Herrschaft über eine Grafschaft zu erlangen. Eine andere Frau, die sich in einen Falken verwandeln kann und unliebsame Menschen in Hunde. Das sind die wenig originellen Zutaten für die mehr als 900 Seiten. Hinzu kommen grob entworfene Völker à la Beutereiter in der Steppe, Karpfenköpfe am Großen Fluss und ein geheimnisvoller Steinsucher, der das Geschehen aus dem Hintergrund zu steuern scheint. Und alles zusammen ergibt dann eben doch eine Mischung, die sich zu lesen lohnt und die um den Grundgedanken kreist, den Lauscher erst spät erkennt: „Wäre das Böse nicht in dieser Welt, wäre jedem Menschen die Freiheit genommen, sich aus eigenem Antrieb für das Gute zu entscheiden." Die Botschaft ist: sei gelassen und höre zu - in der Regel kein schlechter Rat...